Scheinselbstständigkeit
Kriterien und Folgen der Scheinselbstständigkeit
Kriterien und Folgen der Scheinselbstständigkeit
Scheinselbstständigkeit: Definition
Merkmale selbstständiger Tätigkeit
Merkmale eines festen Arbeitsverhältnisses
Scheinselbstständigkeit bei Mitarbeitern erkennen
Scheinselbstständigkeit kontrollieren
Folgen und Sanktionen
Scheinselbstständigkeit vermeiden
Scheinselbständig sind Berufstätige, die zwar als Selbständige auftreten, obwohl sie aufgrund der tatsächlichen Ausgestaltung ihrer Tätigkeit eigentlich in einem klassischen Arbeitsverhältnis stehen. Scheinselbstständige sind daher wie Festangestellte in das Unternehmen des Auftraggebers eingegliedert, obwohl sie nach dem Vertrag unabhängig und weisungsfrei sein sollten. Der Scheinselbständige und sein Auftraggeber (eigentlich sein Arbeitgeber) umgehen auf diese Weise die Zahlung von Lohnnebenkosten und Sozialversicherungsbeiträgen, riskieren aber hohe Bußgelder und Nachzahlungen an den Sozialversicherungsträger. Im Verdachtsfall wird von den zuständigen Behörden eine Reihe von Kriterien geprüft, um eine scheinselbstständige Tätigkeit festzustellen.
Max arbeitet freiberuflich als Webdeveloper für ein IT-Unternehmen. Mit dem Unternehmen wird schriftlich vereinbart, dass die Projekte ordnungsgemäß und rechtzeitig abzuschließen sind. Wann und wo Max arbeitet, ist für das Unternehmen gemäß der vertraglichen Bestimmung irrelevant. Anfangs arbeitet Max im eigenen Büro und entscheidet darüber, welche Projekte er übernehmen will.
Aufgrund von internen Abläufen wünscht sich das Unternehmen mit der Zeit, dass Max doch mit den anderen Arbeitnehmern im Büro arbeitet, weil sich so die Kommunikationswege verkürzen und das Projekt somit schneller abgeschlossen werden kann. Damit Max nicht jeden Tag sein eigenes Laptop in die Arbeit schleppen muss, stellt ihm das Unternehmen einen Arbeitstisch samt PC zur Verfügung. Für das Unternehmen ist es außerdem sehr wichtig, dass Max zur selben Zeit im Büro anwesend ist, wie die anderen Mitarbeiter, um Projektablauf immer zeitnah zu besprechen.
Bei dieser Konstellation ist zu erwarten, dass Max im Falle einer Betriebsprüfung als Scheinselbstständiger eingestuft wird. Max ist in das Unternehmen eingegliedert und ist weisungs- und ortsgebunden, was eindeutig für das Vorliegen einer Scheinselbstständigkeit spricht.
Selbstständige sind persönlich und wirtschaftlich vom Auftraggeber unabhängig. Diese Unabhängigkeit zeichnet sich im Regelfall durch folgende Merkmale aus:
Selbstständige sind in Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nicht versicherungspflichtig. Es besteht die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung. In der Rentenversicherung sind die Selbstständigen nur bedingt pflichtversichert.
Für echte Arbeitsverhältnisse sind zwei Hauptkriterien typisch: einerseits ist der Arbeitnehmer weisungsgebunden, andererseits ist der Arbeitnehmer in die Organisation des Arbeitgebers eingegliedert und erbringt seine Arbeiten in persönlicher Abhängigkeit.
Weisungsgebundenheit zeichnet sich durch keine Entscheidungsbefugnis hinsichtlich:
Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers ist außerdem dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer:
Anfangs ist es wichtig zu betonen, dass es keinen abschließenden Kriterienkatalog gibt. Es muss in jedem Einzelfall untersucht werden, ob konkret Scheinselbstständigkeit bzw. tatsächlich Selbständigkeit vorliegt.
Bei der Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Festangestellten sind immer die tatsächlichen Verhältnisse im konkreten Einzelfall entscheidend. Vertragliche Vereinbarung wird dabei irrelevant, falls das Verhältnis tatsächlich anders „gelebt“ wird. Bezeichnung des Vertrags als Freier Dienstvertrag oder Werkvertrag ist daher nicht maßgebend, sondern ausschließlich dessen tatsächliche Handhabung.
Hier erwähnte Kriterien können für eine erste Einschätzung nützlich sein. Entscheidend ist im Einzelfall das Überwiegen der einschlägigen Merkmale, die gegeneinander abzuwägen sind. Es sind alle Merkmale in einem Gesamtbild zu bewerten. So kann das Fehlen eins charakteristischen Merkmals durch das deutliche Überwiegen anderer Merkmale ausgeglichen werden.
Kriterien, die auf Scheinselbstständigkeit hindeuten:
1. Einbindung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers:
2. Kein Marktauftritt als Unternehmen
Ist Mehrheit dieser Kriterien gegeben ist, die Wahrscheinlichkeit hoch, dass im konkreten Fall eine Scheinselbständigkeit vorliegt.
Normalerweise wird eine scheinselbstständige Beschäftigung nicht gezielt kontrolliert, sondern fällt in den meisten Fällen durch Zufall im Rahmen der Betriebsprüfungen durch den Sozialversicherungsträger auf. Außerdem kann es bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu einem Gerichtsprozess kommen. Solche Prozesse beginnen oft auf Initiative des Auftragnehmers, der auf Feststellung eines echten Arbeitsverhältnisses klagt.
Alternativ besteht für den Auftraggeber bzw. den Auftragnehmer die Möglichkeit, ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu beantragen. Im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens wird verbindlich festgestellt, ob eine selbständige Beschäftigung vorliegt. Die Feststellung bezieht sich allerdings immer nur auf ein bestimmtes Vertragsverhältnis. Gibt es mehrere Auftraggeber, so muss jedes Vertragsverhältnis separat beurteilt werden.
Die Folgen der Scheinselbstständigkeit hängen davon ab, ob versehentlich oder vorsätzlich ein Scheinselbstständiger beschäftigt wird.
In beiden Fällen muss der Auftraggeber die Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, die er für den Scheinselbstständigen abgeführt hätte, hätte er ihn ordnungsgemäß als Festangestellten beschäftigt. Dabei muss der Auftraggeber sowohl den Arbeitgeberanteil als auch den Arbeitnehmeranteil an den Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen. Bei festen Anstellungsverhältnis von Beginn an hätte der Arbeitgeber den SV-Arbeitnehmeranteil vom Arbeitnehmer einbehalten können. Bei nachträglicher Feststellung einer Scheinselbständigkeit muss der Arbeitgeber aber auch für die Arbeitnehmeranteile aufkommen (Ausnahme: der Arbeitnehmer selbst haftet für nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge maximal drei Monate rückwirkend).
Der Sozialversicherungsträger kann eine rückwirkende Nachzahlung der Beiträge jedenfalls für die vergangenen vier Jahre verlangen. Wird eine vorsätzliche Scheinselbstständigkeit nachgewiesen, erhöht sich die Verjährungsfrist sogar auf 30 Jahre. Dann sind Nachzahlungen für die 30 Jahre möglich. Sollte der Auftraggeber vorsätzlich eine Scheinselbständigkeit in Kauf nehmen, um den Kündigungsschutz zu umgehen oder Lohnnebenkosten zu sparen, drohen ihm neben Nachzahlungen auch hohe Bußgelder.
Es kommen außerdem auch strafrechtliche Sanktionen wegen Hinterziehung der SV-Beiträge in Frage.
Der Auftragnehmer kann unter Umständen seinen Arbeitnehmerstatus vor Gericht einklagen. Wird eine Scheinselbständigkeit gerichtlich festgestellt, hat der Auftragnehmer alle arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten eines abhängig Beschäftigten gegenüber dem Auftraggeber. Der vermeintliche Selbständige kann in dem Fall rückständiges Arbeitsentgelt, Urlaub oder Kündigungsschutz einfordern.
Selbständige, die sich unsicher über ihren Status sind, können Folgendes unternehmen, um eine Scheinselbsständigkeit zu vermeiden:
Auf diese Weise können Selbständige die Unsicherheit umgehen und eventuelle Anzeigen vermeiden.
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Mag. iur. Gorica Stojkovic-Bubic ist TimeTrack-Expertin für arbeitsrechtliche Themen. Nach 10-jähriger Tätigkeit für eine renommierte Wiener Rechtsanwaltskanzlei mit Schwerpunkt Arbeitsrecht verstärkt sie nun das junge TimeTrack Team und schreibt gerne Rechtsbeiträge rund um Arbeitszeit und Arbeitswelt.